Tox Info Suisse droht das Aus

Wir, Tox Info Suisse, helfen bei Vergiftungen kostenlos, rund um die Uhr, telefonisch und ärztlich fundiert. Unser Angebot wird geschätzt, die Anrufzahlen steigen: Im vergangenen Jahr führten wir fast 43'000 Beratungen durch, ein Plus von 3,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 

Doch jetzt steht der schweizerische Giftnotruf vor dem Aus – weil das Geld fehlt. Seit Jahren sind wir chronisch unterfinanziert, unsere Reserven bald aufgebraucht. Wenn bis Ende 2025 keine Lösung gefunden wird, müssen wir 2026 den Betrieb des Giftnotrufs einstellen. 

Viele private Träger haben sich in den letzten Jahren zurückgezogen oder ihre Beiträge gekürzt – mit dem Hinweis, unsere Stiftung sei ein Service public und damit Sache des Bundes. Doch eine tragfähige Finanzierung durch die öffentliche Hand fehlt trotz jahrzehntelanger Verhandlungen bis heute. 

Der Giftnotruf 145 – eine unverzichtbare Hilfe für Eltern, Betreuungspersonen, Ärzte und Ärztinnen, Rettungskräfte, weitere medizinische Fachpersonen und die ganze Bevölkerung – wäre dann nicht mehr erreichbar.

Was passiert, wenn Tox Info Suisse verschwindet?


Kurz gesagt: Alle würden verlieren. Am meisten jene, die im Notfall dringend Hilfe brauchen.

  • Wir retten Leben – sofort und fundiert: Bei der Einnahme giftiger Substanzen ermöglicht unsere telefonische Ersteinschätzung lebensrettende Massnahmen in den entscheidenden ersten Minuten.

  • Kinder wären besonders betroffen: 40% aller Anfragen betreffen Kinder unter fünf Jahren. Ohne unsere Beratung käme es häufiger zu Panik, Fehleinschätzungen und unnötigen Spital- und Arztbesuchen. 

  • Wir entlasten nachweislich das Gesundheitssystem: Unsere Fachleute verhindern unnötige Konsultationen, schlagen gezielte Therapien vor, verkürzen Behandlungswege und verhindern damit gesundheitliche Spätschäden. Jeder investierte Franken spart ein Mehrfaches an Folgekosten.

  • Unsere Expertise ist schweizweit gefragt: Tox Info Suisse ist das einzige toxikologische Zentrum in der Schweiz. Notfallstationen, Arztpraxen und Apotheken holen regelmässig unseren fachlichen Rat.


Interview vom 30. Juni 2025

Wie ist es so weit gekommen? Was bedeutet die aktuelle Lage konkret? Und was braucht es jetzt?


Bild mit Sepp Widler und Damaris Ammann
Dr. med. Josef Widler (Stiftungsratspräsident); Damaris Ammann (Geschäftsführerin)

Wir haben bei Dr. med. Josef Widler (SW), dem Stiftungsratspräsidenten seit Frühling 2024, und bei Damaris Ammann (DA), Geschäftsführerin seit 2021, nachgefragt.

1. Was ist schiefgelaufen?

SW: Unsere finanzielle Schieflage ist leider bereits seit mehreren Jahr(zehnt)en ein Problem – nun ist die Situation jedoch existenzbedrohend.

Tox Info Suisse ist chronisch unterfinanziert. Bereits in den 70er Jahren wird in den Jahresberichten über die aufwändige Suche nach finanzieller Unterstützung berichtet. Man dachte sich Anfang der 2000er Jahre, dass mit der Überarbeitung des Chemikaliengesetzes (Art. 30), in welchem dem Bund die Aufgabe zufällt, für die Abgeltung von Tox Info Suisse zu sorgen, die finanziellen Probleme gelöst seien. Der Bund beteiligt sich zwar seither finanziell am Tox, der Beitrag reicht jedoch bei weitem nicht, deckt er doch nur rund 10 Prozent der Kosten. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die privaten Träger in den letzten Jahren zurückgezogen oder ihre Beiträge deutlich reduziert haben. Seit ein paar Jahren fährt der Giftnotruf ein jährliches Defizit von rund 1 Mio. CHF ein. Darüber hinaus fehlen die Mittel, um alle notwendigen Stellen zu besetzen und marktgerechte Löhne zu zahlen. Selbst ein Teuerungsausgleich war nicht mehr möglich. Viele Mitarbeitende leisten seit Jahren einen erheblichen Teil der Arbeit unbezahlt. Das darf doch kein Geschäftsmodell sein.

Seit mindestens 10 Jahren führte die Stiftung eine Sparübung nach der anderen durch: Investitionen wurden verschoben – besonders in der ICT, was einen grossen Investitionsstau verursacht hat. Bei den Oberärzten können wir aufgrund fehlender Mittel seit vier Jahren zwei Stellen nicht besetzen. Unsere Organisation ist äusserst effizient aufgestellt und es ist kein Sparpotential mehr vorhanden. Die Zitrone ist ausgepresst!

Wir haben seit Jahren mehrfach auf die kritische Finanzsituation des Giftnotrufes aufmerksam gemacht – unter anderem 2022 an einem runden Tisch mit diversen Leistungserbringern und seit über einem Jahr intensiviert wiederholt beim BAG. Die Verweise des BAGs auf alternative Finanzierungsquellen haben sich in der Praxis leider als untauglich oder Tropfen auf den heissen Stein erwiesen. Ohne Unterstützung können wir den Betrieb des Giftnotrufs nicht länger aufrechterhalten.

2. Was würde ein Wegfall konkret bedeuten?

SW: Die Folgen wären gravierend für Eltern, Kinder, Fachpersonen und das gesamte Gesundheitssystem.

Rund 40% aller Anfragen betreffen Kinder unter fünf Jahren. Ohne den Giftnotruf würden viele Eltern direkt in die Notfallaufnahme fahren – oft ohne vorherige Erste-Hilfe-Massnahmen und meist auch unnötig. Das erhöht das Risiko für Komplikationen, führt zu Fehlbehandlungen und belastet die Spitäler.

Unsere telefonische Beratung stellt sicher, dass in den entscheidenden ersten Minuten die richtigen therapeutischen Massnahmen eingeleitet werden. Genau diese Zeit ist bei Vergiftungen für den weiteren Verlauf ausschlaggebend. Je schneller und gezielter reagiert wird, desto besser sind Behandlungserfolg, Genesung und Langzeitprognose. 

Wir verfügen über jahrzehntelange Erfahrung und eine eigene Substanzdatenbank. Unsere Fachpersonen beraten täglich – gestützt auf Expertise, Daten und Routine.

So entlasten wir Arztpraxen, Spitäler, Apotheken, Rettungskräfte und Notaufnahmen. Wir ermöglichen gezielte Therapien, verhindern unnötige Konsultationen und sparen Zeit, Kosten und Ressourcen. 

3. Gesetzlich verankert braucht es einen Giftnotruf, aber könnte nicht jemand anders ihn übernehmen?

DA: Grundsätzlich kann jede medizinisch-toxikologisch ausgebildete Personen solche Beratungen übernehmen. Das Problem ist: Davon gibt es nur sehr wenige. Vor allem, wenn sie noch mehrere Landessprachen abdecken sollen.

Was Tox Info Suisse bietet, ist kein Service, den man nebenbei betreiben kann. Unsere Mitarbeitenden beraten ausschliesslich zu Vergiftungen. Sie durchlaufen eine mehrjährige Ausbildung, greifen auf eine eigene Datenbank mit rund 75’000 Substanzen zurück und besprechen komplexe Fälle im Team. Erst nach rund fünf Jahren erreichen sie ein Erfahrungsniveau, welches man als toxikologisches Expertenwissen bezeichnen kann.

Tox Info Suisse ist zudem die einzige Stelle, die toxikologische Fälle schweizweit systematisch erfasst und auswertet – eine unverzichtbare Grundlage für Behandlungsrichtlinien, Prävention und medizinische Forschung. Wir stehen im engen Austausch mit den Schweizer Spitälern und internationalen Giftzentren.

Immer wieder werden Alternativen diskutiert – etwa die Integration in Notfalldienste wie 144, in Telemedizin-Plattformen oder gar eine Auslagerung ins Ausland. Doch dabei wird etwas Entscheidendes übersehen: Würde unser Dienst bei einer Notrufzentrale wie 144 angesiedelt, würden Vergiftungsfragen dort wenige Prozent des gesamten Anfragevolumens ausmachen. Der Aufbau echter Fachkompetenz wäre für die Mitarbeitenden kaum möglich – es fehlte an Spezialisierung, Routinen und kontinuierlicher Fallpraxis. Toxikologische Erfahrung entsteht nicht nebenbei.

Auch unsere Datenbank, die interne Qualitätssicherung und die systematische Fallanalyse müssten in solchen Strukturen 1:1 aufrechterhalten werden. Es bräuchte also eine vollständige Integration in eine andere Institution. Ob dies in absehbarer Zeit günstiger als das aktuelle Setup wäre, ist mehr als zu bezweifeln.

4. Wie hoch ist das aktuelle Defizit?

SW: Das aktuelle Defizit liegt derzeit bei rund einer Million Franken pro Jahr. Dieses Jahr können wir diese Lücke noch mit den bestehenden finanziellen Reserven decken, ab nächstem Jahr muss die Lücke vom Bund gefüllt werden, sonst müssen wir schliessen. Ein nachhaltiger Betrieb unseres Notrufdienstes kostet jährlich 5.7 Millionen Franken (inkl. Aufbau des notwendigen Reservekapitals, welches wir ja dieses Jahr komplett aufbrauchen werden). Nachhaltig bedeutet: marktgerechte Löhne und eine vollständige Stellenbesetzung. Beides ist nötig, um unseren Dienst aufrechtzuerhalten. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

5. Warum passiert nichts?

SW: Die Sachlage ist klar: Laut Chemikaliengesetz muss der Bund eine nationale Auskunftsstelle für Vergiftungen benennen und für deren Finanzierung sorgen. 

Seit 2005 beteiligt sich der Bund mit rund 500'000 Franken pro Jahr. Das reicht jedoch seit Jahren bei
Weitem nicht mehr. Mit dem Ausstieg der privaten Träger und den gewachsenen Anforderungen wie marktgerechte Löhnen braucht es zusätzliche Mittel. 

Es sind sich zwar alle einig, dass es einen Giftnotruf braucht. Doch jeder sieht die finanzielle Verantwortung bei einer anderen Organisation. Die Zuständigkeit wird seit Jahren zwischen verschiedenen Stellen hin- und hergeschoben. Und genau das hat unseren Giftnotruf in diese missliche Lage gebracht. Nun ist die Zeit der Diskussionen vorbei, es muss schnell eine Lösung her. Wir brauchen bis Ende August 2025 die Zusage des Bundes, dass die Finanzierung für 2026 gesichert ist und bis Ende Dezember 2025 die Zusage, dass die langfristige, nachhaltige Finanzierung des Giftnotrufes geregelt wurde.

Zusammenfassend:

Tox Info Suisse braucht dringend eine dauerhafte stabile Finanzierung. Die Aufgabe ist gesetzlich vorgeschrieben, die medizinische Relevanz unbestritten. Der Bund muss nun agieren und die Zukunft des schweizerischen Giftnotrufs sichern!

Was Sie tun können


Helfen Sie mit, den Giftnotruf 145 zu sichern!

Unterschreiben und teilen Sie unsere Petition!

https://act.campax.org/petitions/retten-sie-den-giftnotruf-145




Tox Info Suisse
Freiestrasse 16, CH-8032 Zürich
Tel.: +41 44 251 66 66
E-Mail: info@toxinfo.ch