Die Zahl der Anrufe beim schweizerischen Giftnotruf steigt stetig und doch geht das Geld aus. Ohne rasche Unterstützung durch den Bund droht der Schweiz bereits ab 2026 der Verlust dieser lebenswichtigen Anlaufstelle. Tox Info Suisse startet deshalb eine Petition (https://act.campax.org/retten-sie-den-giftnotruf-145) und fordert sofortige Hilfe von Bundesrätin Baume-Schneider.
Nach Rekordjahr steht der schweizerische Giftnotruf (145) vor dem Aus – es braucht dringend Bundesmittel
Medienmitteilung des Stiftungsrates von Tox Info Suisse vom 1. Juli 2025
Der Giftnotruf 145 ist für die Schweizer Bevölkerung und das Gesundheitssystem unverzichtbar: Allein im vergangenen Jahr – einem weiteren Rekordjahr – wurden rund um die Uhr 42'782 Beratungen durchgeführt. Den überwiegenden Teil machten Anfragen von Privatpersonen aus, ein Viertel der Anfragen stammte von medizinischen Fachpersonen. Tox Info Suisse entschärft in seiner Arbeit viele Notfälle und vermeidet ambulante Konsultationen und teure Spitalaufenthalte – eine wichtige Entlastung für die Kosten im gesamten Gesundheitssystem.
Und doch steht Tox Info Suisse vor dem Aus. Seit 2020 schreibt die Stiftung Verluste, die Reserven werden Ende Jahr aufgebraucht sein. Das Loch in der Kasse hat vor allem eine Ursache: Das nicht mehr zeitgemässe Finanzierungsmodell. Der aktuelle Beitrag des Bundes deckt nur rund 10 % der Kosten, die übrigen Beiträge reichen nicht aus, um die Ausgaben zu decken. Der Vorschlag des BAG, die fehlende Finanzierung allein auf Spitäler abzuwälzen, deckt nur einen Teil des Defizits und reicht bei weitem nicht aus. Dieses Vorgehen könnte sogar dazu führen, dass weniger Fachpersonen Hilfe suchen – mit gefährlichen Folgen für das öffentliche Gesundheitssystem. Auch, dass langjährige Mitarbeitende mit ohnehin nicht marktgerechten Arbeitskonditionen einen beträchtlichen Teil ihrer Arbeit pro bono leisten, darf kein Geschäftsmodell sein. Der Stiftungsrat hat deswegen bereits letzten Herbst einen Antrag an den Bund gerichtet, dass bis Ende Dezember 2025 die nachhaltige und langfristige Finanzierung des Giftnotrufs gesichert sein muss.
Tox Info Suisse fordert zusätzlich vom Bund bis Ende August eine Soforthilfe von 1,1 Millionen Franken, um den Betrieb für 2026 zu sichern. Nur mit der sofortigen Zusage des Bundes kann der reibungslose Betrieb des Giftnotrufs auch nächstes Jahr garantiert werden. Eine Petition an Bundesrätin Baume-Schneider wurde lanciert (https://act.campax.org/retten-sie-den-giftnotruf-145), um der Forderung Nachdruck zu verleihen.
Sollte die Finanzierung nicht gesichert werden, droht die Schliessung des Giftnotrufs – mit gravierenden Folgen für die Bevölkerung und das Schweizer Gesundheitssystem. Die Zeit drängt. Der Bund muss jetzt handeln, um die Abwanderung von hochspezialisierten Ärztinnen und Ärzten zu vermeiden und das Risiko einer bleibenden Versorgungslücke zu verhindern.
Dr. med. Josef Widler, Stiftungsratspräsident und Damaris Ammann, Geschäftsführerin stehen heute Dienstag, 01. Juli 2025 von 10:00 – 10:30 auf Zoom zur Verfügung für Fragen.
https://us06web.zoom.us/j/89966674872?pwd=cGMHbjapAKonIqPp9Ltr957N8DQXvM.1
Der Jahresbericht 2024, mehr Informationen zur Finanzierung von Tox Info Suisse und detaillierte Statistiken sind auf unserer Website (www.toxinfo.ch) zu finden.
Für weitere Auskünfte kontaktieren Sie bitte:
medien@toxinfo.ch
Tel. 043 254 10 13 (von 8:00 – 12:00 und 13:00 – 17:00)
Hintergrundinformationen
2024 hat Tox Info Suisse 42‘782 Beratungen durchgeführt (+3.7 % gegenüber 2023), was pro Tag durchschnittlich knapp 120 Anrufen entspricht. Gut zwei Drittel dieser Anfragen kamen aus der Bevölkerung, ein Viertel von medizinischen Fachpersonen. Häusliche Unfälle machten 73% der Fälle aus; die Hälfte davon betrafen Kinder bis ca. 5 Jahre. Weitere 10 % der Anfragen betrafen Suizidversuche von Jugendlichen und Erwachsenen. Es erstaunt also nicht, dass Medikamente und Haushaltsprodukte ca. 60 % der Vergiftungsanfragen ausmachten.
Tox Info Suisse kann zum Glück oftmals entwarnen und/oder niederschwellige angemessene Sofortmassnahmen empfehlen. «Dadurch können unnötige Besuche auf Notfallstationen vermieden und Kosten für das Gesundheitssystem eingespart werden»*.
*Aussage des Bundesrates in der Fragestunde des Nationalrates vom 23. September 2024
Obwohl der Giftnotruf dem Gesundheitswesen Kosten erspart, ist die Finanzierung seiner Dienstleistungen nicht gegeben. Dies liegt am nicht mehr zeitgemässen Finanzierungsmodell:
- Tox Info Suisse ist eine Stiftung, die 1966 ins Leben gerufen wurde und auf meist freiwilliger Basis von einer wechselnden Zahl von Trägern finanziert wird. Heute funktioniert dieses Modell nicht mehr. Einzelne Träger bezahlen deutlich weniger als bisher oder ziehen sich ganz zurück. Die anderen sind aktuell nicht in der Lage, dies ausreichend zu kompensieren.
- Der jahrzehntelange Spardruck hat schleichend dazu geführt, dass die Mitarbeitenden von Tox Info Suisse, gemessen am aktuellen Arbeitsmarktstandard, ein deutlich zu niedriges Salär haben, viel pro bono arbeiten und der Stellenplan extrem knapp bemessen ist. Dass solche Arbeitskonditionen nicht attraktiv sind, zeigt der fehlende Nachwuchs. Um den 24/7-Betrieb dennoch aufrechterhalten zu können, wird das bestehende Team durch Assistenzärzte ergänzt, deren Ausbildung zeit- und ressourcenintensiv, wenn auch bereichernd ist. Die aktuelle Organisation ist effizient und professionell aufgestellt, es besteht kein Sparpotential.
- Zudem hat ein jahrzehntelanger Investitionsstau im ICT- Bereich in jüngster Zeit Neuinvestitionen unumgänglich gemacht, welche die bis vor kurzem vorhandenen finanziellen Reserven von Tox Info Suisse erschöpft haben. Der Betrieb ist bis Ende des Jahres gesichert, für das kommende Jahr ergibt sich aber bereits eine erhebliche Finanzierungslücke, die den Stiftungsrat zur geregelten Auflösung der Stiftung im kommenden Jahr zwingt, sofern die Situation sich nicht deutlich verbessert.
Laut Artikel 30 des Chemikaliengesetzes ist es Aufgabe des Bundesrates, eine Auskunftsstelle für Vergiftungen zu bezeichnen und für die finanzielle Abgeltung der ihr übertragenen Aufgaben Sorge zu tragen. Tatsächlich liegt der aktuelle Beitrag des Bundes zum Budget aber nur bei rund 10 %.
Das BAG verlangt nun, dass die Ärzte und Ärztinnen, welche das Tox konsultieren, für die Kosten ihrer Anfragen aufkommen. Sollte Tox Info Suisse zukünftig nach TARDOC abrechnen, können damit ca. die Hälfte der tatsächlichen Kosten eines Anrufs gedeckt werden. Dieses Vorgehen ist jedoch mit erheblichem zusätzlichem administrativem Aufwand verbunden, was Mehrkosten verursacht und das Defizit 2025 und 2026 erhöht. Die drohende Schliessung des schweizerischen Giftnotrufs kann damit nicht verhindert werden. Zudem ist bei Verrechnung der deutlich höheren Kosten an Spitäler und Ärzte ein Einbruch der Anrufzahlen und damit eine Qualitätseinbusse bei der Behandlung von Vergiftungen zu erwarten. Denn eine Verrechnung führt zu einer Erhöhung der Schwelle, sich beraten zu lassen. Dieses Vorgehen widerspricht allen Bemühungen im Gesundheitswesen, durch niedrigschwelligen Zugang zu Beratungen (z.B. Jugendpsychiatrie, Suchtmedizin, Impfungen etc.) mögliche schwerwiegende Verläufe frühzeitig zu erkennen und damit grösseren Schaden und höhere Folgekosten abzuwenden.
Sollte der Bund nicht bis Ende August einen Zusatzbeitrag sprechen, muss der Giftnotruf seine Arbeit 2026 einstellen. Dieses Szenario ist untragbar für die Schweizer Bevölkerung, die auf den Giftnotruf angewiesen ist, und die Schweizer Notfallstationen, die nicht noch mehr überlastet werden dürfen. Es bleibt auch zu hoffen, dass die hochqualifizierten Toxikolog:innen bei Tox Info Suisse nicht bereits frühzeitig abwandern, zumal erfahrene Arbeitskräfte, welche zusätzlich die Landessprachen sprechen, in diesem medizinischen Nischengebiet äusserst knapp sind.
Tox Info Suisse
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